Beim Training stellt mich mein Körper immer wieder vor Hindernisse: Muskelkater, keine Puste mehr, nicht genug Kraft etc.. Andere Steine legt mir der Wille in den Weg: Aufstehen, vor anderen schwitzen etc.. Aber das gehört zum Sport, das gehört wohl sogar zum Kern des Sports: etwas über sich hinaus zu schaffen, sich überwinden. Und das mache ich auch, mittlerweile sogar immer lieber. Nur ein – geistiges Problem habe ich noch: Was soll ich während der Ausdauer-Einheiten machen?
Die Frage klingt total bescheuert: Während des Trainings sollst Du trainieren. Das stimmt natürlich, ich meine auch eher im Kopf. Mir ist nämlich etwas langweilig, wenn ich eine Stunde auf dem Rad sitze oder laufe (und mich dabei nicht von der Stelle rühre). Komplett abschalten kann ich dabei nicht, die innere Emigration bekomme ich nur auf dem Sofa hin. Ich weiß also nicht, wohin mit meinen Gedanken.
Ich und LeBron James
In einem Fitness-Studio hängen natürlich überall Fernseher rum. Aber die Fernseher sind stumm und oft laufen Nachrichten-Sender. Nachrichten sind toll, bloß sie bringen nicht sonderlich viel ohne Ton. Und es ist auch nicht motivierend, Bilder von aktuellen Tragödien rund um den Globus zu sehen oder Archivmaterial von den Schlachtfeldern der Katastrophe namens 20. Jahrhundert. Und zu all diesem stummen, weltweiten Unglück auf dem Schirm nimmt mir der Nachrichtenticker auch noch den Spaß am Laufen. War ich am Pfingstmontag doch direkt nach dem Aufstehen trainieren. Ich starre also gelangweilt auf die Kurznachrichten und sie teilen mir doch tatsächlich das Ergebnis des Vorabend-Spieles mit. Basketball. Finalserie. Die Miami Heat gleichen gegen die San Antonio Spurs aus. Ich hätte mir das gerne zu Hause angesehen, aber nix da, alle Spannung weg. Natürlich hat diese Nachricht auch eine ermutigende Seite: LeBron James (bester Basketball-Spieler der Welt) und ich haben etwas gemeinsam: Wir wurden beide von Krämpfen geplagt und haben die überwunden. Nur dass er einen Tick mehr dafür bekommt als ich. Ach, wie schön nahtlos sich doch alles in mein Leben fügt. Ich bin übrigens für San Antonio.
Einmal habe ich auf dem Schirm Löwen gesehen, die einen Büffel rissen. Das war an einem Sonntag-Morgen, aber auch daraus konnte ich keine Ablenkung ziehen. Das Muskelspiel der Löwinnen ist ohne Zweifel beeindruckend und ich hätte solch ein graziles Muskelspiel sicher auch gerne. Wobei mir der Lebensstil männlicher Löwen auch nicht ganz unsympathisch ist.
Lesen kann man übrigens nur bedingt. Es geht nur bei Einheiten mit niedriger Intensität und über die bin ich mittlerweile hinaus. Und Bücher, bei denen die Sätze über mehr als eine Zeile gehen, sind raus. Durch die Bewegung verliert man viel zu oft die Zeile. Thomas Bernhard ist also nicht drinne. Aber der wäre wohl auch alles andere als motivierend. Ich habe es auch mit Hörbüchern probiert, aber ich werde bei Hörbüchern immer ganz schrecklich müde, weil ich sie sonst nur zum Einschlafen höre.
Flanieren und sinnieren
Apropos Bernhard: Seine Hauptfiguren entwickeln ihre Gedanken ja sehr gerne beim Gehen, das ist bei mir genauso. Beim Sonntags-Spaziergang kann man hervorragend nachdenken. Bewegung und Nachdenken passen ziemlich gut zusammen. Ich kann die Gedanken am besten bei leichter Bewegung kreisen lassen. Beim Spazieren. Beim Auf- und Abgehen. Beim Brainstorming vor dem Whiteboard in unserem Büro gehe ich auch auf und ab und schmeisse wilde Sachen an die Wand. Neben dem Beweis der Riemannschen Vermutung (für den die Kommission mir noch das Preisgeld schuldet), sind wir dabei auch immer zu guten Ideen gekommen, mindestens so gut wie die, die man alleine am Schreibtisch vor sich hin brütend hat.
Auf dem Laufband oder auf dem Ergometer kann ich mittlerweile auch ganz gut nachdenken, wenn ich auf einer angenehmen Stufe trainiere. Beim Intervall-Training ist das natürlich hinfällig. Dabei wechseln sich eigentlich nur zwei Zustände ab: In der heftigen Zone starre ich nur auf die Uhr. Und schreie im Kopf den Sekundenzähler an, er möge doch endlich umspringen. In den Erholungsphasen bin ich dann damit beschäftigt, etwas zustande zu bringen, das halbwegs an koordinierte Atmung erinnert.
Aber bei sutjen Runden denke ich nach. Nur kann ich diese Ideen nicht festhalten. Ich hab es versucht. Auf dem Laufband geht schreiben gar nicht. Desktop-Laufbänder ausgenommen. Auf dem Ergometer schaffte ich es immerhin, den Stift aufs Papier zu setzen. Aber das Gekrakel hätte nicht einmal ein Apotheker entziffern können. Herrje, ich schreibe sogar sauberer, wenn ich ein bisschen Wein hatte und mir poetisches Talent andichte. Das, was da aufs Papier kommt, kann ich am nächsten Tag wenigstens entfziffern, um es dann wegen vollkommener Belanglosigkeit zu entsorgen.
Griechenland ein Stück näher
Ich weiß jetzt also, was ich während des Trainings so machen. Einfach vor mich hin denken. Jetzt brauche ich nur noch jemanden, der das für mich festhält: Ich brauche einen Eckermann. Ich erkläre allen Nicht-Literaturwissenschaftlern oder denen, die bestimmte Epochen der deutschen Literatur übersprungen haben kurz, was ein Eckermann ist. Der ziemlich alte Goethe hat nicht mehr selbst geschrieben, er hat diktiert und lange Gespräche geführt. Eckermann hat viele dieser Gespräche aufgezeichnet und wir verdanken ihm so einige Erkenntnisse über Goethe. Und so einen Eckermann will ich auch! Zwei Fliegen mit einer Klappe hätte ich damit geschlagen, körperliche und geistige Fitness vereint. Dem klassischen griechischen Ideal vom Einklang des Körpers und des Geistes wäre ich wieder einen Schritt näher! Wieder ein Problem gelöst. Das mit dem Sport läuft immer besser!
PS: Ich halte normalerweise mit meiner Meinung hinterm Berg, dieses eine mal sei mir aber ein quasi-politisches Statement erlaubt: Go Spurs!